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Aufstand gegen die Politik der eigenen Partei

Veröffentlicht am 06.02.2009 in Bundespolitik

Der Freudenstädter Kreis-Chef Gerhard Gaiser gehört zu den Initiatoren einer Opposition in der Landes-SPD
In der Landes-SPD hat sich am Samstag eine Opposition formiert, die für soziale Gerechtigkeit, gegen die Macht des Kapitals und für innerparteiliche Demokratie kämpfen will. Zum engsten Kreis der Initiatoren gehören der Freudenstädter SPD-Kreisvorsitzende Gerhard Gaiser und die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, die aus Horb stammt.

Rund 140 Sozialdemokraten sind am Samstag im Kleinen Kursaal in Stuttgart zusammengekommen – eine innerparteiliche Opposition, bestehend aus Bundestags- und Landtags-Abgeordneten, Kreis- und Orts-Vorsitzenden, Oberbürgermeistern und Bürgermeistern sowie anderen Mitgliedern. Unter ihnen waren die Horber Stadträte Axel Lipp und Dr. Dieter Rominger-Seyrich sowie die Bundestags-Kandidatin des Wahlkreises Calw-Freudenstadt, Saskia Esken. Zu den Initiatoren gehört auch die Bundestagsabgeordnete Renate Gradistanac. Gerhard Gaiser und Hilde Mattheis übernahmen die Moderation.

Mit dem Treffen sollte eine Informations-Basis für die Diskussion in den Orts- und Kreisverbänden entstehen – mit dem Ziel, auf das SPD-Programm für die diesjährige Bundestagswahl einzuwirken. Unzufriedenheit über die Politik der eigenen Partei war der Grund für die Initiative. Gaiser: „Es war der Punkt erreicht, wo wir gesagt haben, so geht’s nicht weiter.“ Wissenschaftler und SPD-Mitglieder hielten Impuls-Referate.

Der Ulmer Professor Dr. Dirk Solte erklärte, wie die globale Finanzmarkt-Krise entstehen konnte. Es gebe in Form von Lebensversicherungen, Krediten, Fonds-Anteilen und anderen Papieren die 53,5-fache Menge an Geld-Gutscheinen wie an Geld. Allein 2007 habe die Neuverschuldung das siebenfache dessen betragen, was gespart worden sei. Zwischen Gutscheinen auf Geld und dem realen Geld klaffe eine Lücke von – geschätzt – 10 000 Milliarden Euro. Folglich würden alle Konjunktur-Programme, die auf Pump finanziert seien, das Kernproblem der Weltfinanzkrise vergrößern.

Statt einer globalen „Konkurrenz der Regeln“ forderte Professor Solte eine weltweite „Regelung der Konkurrenz“. Es müssten beispielsweise Steuern auf Finanzprodukte erhoben werden. Er schlägt vor, öko-soziale Vorschriften bei der Welt-Handels-Organisation (WTO) zu verankern. Was ein SPD-Ortsverband gegen die Krise unternehmen könne, wollte einer der Zuhörer wissen. Regional empfehle er Selbsthilfe-Gruppen und den Tauschhandel, sagte Dirk Solte.

Als zweiter Redner zur Wirtschaftskrise sprach der Sozialethiker Professor Dr. Friedhelm Hengsbach. Durch politische Entscheidungen wie die Lockerung des Kündigungs-Schutzes seien prekäre Arbeitsverhältnisse entstanden, sagte er. Es gebe in der Folge eine „extreme Ungleichheit“ von Einkommen und Vermögen. Und das sei „der Grund für die explosionsartige Entwicklung der Vermögensmärkte“ gewesen. Jene seien im Gegensatz zu den Güter-Märkten nicht von realen Werten geprägt, sondern von Erwartungen in die Zukunft. So orientiere sich die Bewertung einer Aktiengesellschaft nicht an „den realen Werten, die im Unternehmen geschaffen werden“, sondern an den subjektiven Einschätzungen der Spekulanten. Daraus resultiere eine „kurzatmige Orientierung“ des Managements „ausschließlich an den Interessen der Anteilseigner“. Und ausgerechnet kleine Betriebe, die reale Werte schaffen würden, seien aufgrund der Finanzkrise in Gefahr, keine bezahlbaren Kredite mehr zu bekommen, sagte Udo Lutz, der Landesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Die Wertschöpfungs-Kette müsse abgesichert werden.

Die Sozialpolitikerin Hilde Mattheis, die auch stellvertretende Landes-Vorsitzende ist, forderte einen Kurs-Wechsel in der Sozialpolitik. Um Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen, sei es eine Voraussetzung, Fehler einzugestehen. So sei es ein Fehler gewesen, nur auf Chancen-Gleichheit zu setzen und die Verteilungsgerechtigkeit außer Acht zu lassen. Einem Kind bringe eine Chance nichts, wenn seinen Eltern das Geld fehle, um sie nutzen zu können. Die Bundestagsabgeordnete verwies auf den Armuts- und Reichtumsbericht vom vergangenen Sommer, der sich vorwiegend mit der Zeit befasse, in der SPD/Grüne die Bundesregierung gestellt haben: „Die Schere zwischen Arm und Reich ist weiter auseinandergegangen.“ Hilde Mattheis stellte mit Blick auf Hartz IV fest: „Von 347 Euro Regelsatz kann keiner würdevoll leben. Und von 211 Euro kann ich kein Kind ordentlich ernähren. [...] Wir müssen als Partei sagen: Das war eine falsche Entscheidung. Hartz IV in diesem Ausmaß hat sich für die Menschen verheerend ausgewirkt.“ Das Ziel müsse heißen: „Wohlstand für alle.“ Es gelte auf dem Arbeitsmarkt Ordnung zu schaffen im Sinne der Arbeitnehmer: „Wir brauchen ordentliche Beschäftigung, die ordentlich bezahlt wird.“

„Die Gerechtigkeitsfrage wird die Wahl entscheiden“, sagte Hilde Mattheis. „In der Luft liegt sozialdemokratische Politik-Erwartung“, bestätigte der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer – aber die SPD liege in Umfragen nur bei 22 %: „Wer macht da etwas falsch?“ Ein Problem seien die politischen Salons, in denen Politiker, Wirtschaftsvertreter und Chefredakteure säßen „und sich für die Gesellschaft halten“. Spitzenpolitiker würden zu Medien-Stars aufgebaut, so dass der Eindruck entstehe, das Schicksal der Partei hänge davon ab, dass ihre Spitzenpolitiker unbeschädigt blieben. Scheer wandte sich gegen diese „Privatisierung der Partei“. Die Spitzenpolitiker seien von der Partei abhängig, nicht umgekehrt: „Auch der Schröder wäre ohne die SPD nie Kanzler geworden.“

Hermann Scheer stellte sein Konzept einer Energie-Wende vor, mit dem drei Krisen bekämpft werden könnten: die Finanzkrise, die Klima- und Umwelt-Krise sowie die Ressourcen-Krise. Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz der ehemaligen, rot-grünen Bundesregierung seien 250 000 Arbeitsplätze entstanden, weil Strom aus erneuerbaren Energien zu einer guten Vergütung ins Netz eingespeist werden könne. Wachse der Anteil der erneuerbaren Energie weiter wie 2007 um jährlich 3 %, dann sei in 27 Jahren die Vollversorgung erreicht.

Weitere 400 000 Arbeitsplätze seien allein 2006 durch die Altbau-Sanierung entstanden, berichtete Scheer. Das Förder-Limit pro Haushalt müsse fallen und der Zinssatz noch günstiger werden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen würden mehr Geld in die öffentlichen Kassen spülen als ausgegeben werde. Der Bundestagsabgeordnete ärgerte sich über so genannte Energie-Experten, die ausgerechnet die endlichen Rohstoffe wie Öl und Kohle für unverzichtbar erklären würden. Wenn weiterhin auf fossile Brennstoffe gesetzt werde, „droht dieser Welt noch in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts der finale Konflikt“. Kriege wie auf der arabischen Halbinsel ließen erahnen, welch’ „barbarische Gemetzel“ zu erwarten seien.

In weiteren Referaten wurde die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie (mehr) Mitbestimmung für Arbeitnehmer in Betrieben gefordert. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Peter Conradi warb für seinen Antrag gegen die Bahn-Privatisierung. Die Bahn solle ihre Gewinne nicht in Eisenbahnen anderer Länder investieren, sondern in Züge und Bahnhöfe im Inland. „Dann hätten wir ein Konjunktur-Programm erster Güte.“

Conradi beklagte Mängel in der innerparteilichen Demokratie. Obwohl der Landesparteitag gegen die Bahn-Privatisierung gestimmt habe, hätten seinerzeit nur vier Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg ebenfalls dagegen gestimmt. Es gelte Druck zu machen, wenn Funktionsträger in der Partei gegen die Interessen der Basis handeln würden: „Die müssen um ihre Ämter fürchten.“

Auch Hilde Mattheis hat den Eindruck, dass die Partei „zum Selbstzweck geworden ist“. Sie forderte: „Wir brauchen wieder Willy Brandts Zielvorstellung: Mehr Demokratie – auch in der Partei.“

Andreas Ellinger

Quelle Neckar Chronik vom 02.02.2009

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