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„Das war furchtbar“

Veröffentlicht am 03.10.2010 in Pressemitteilungen

Stuttgart 21: Der SPD-Kreisvorsitzende Gaiser bekam die Polizei-Gewalt zu spüren
Von bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Stuttgart berichtet der SPD-Kreisvorsitzende Gerhard Gaiser. Er war am Donnerstag und Freitag bei den „Stuttgart 21“-Protesten dabei – und unfreiwillig mittendrin. Gaiser bekam die Wasserwerfer zu spüren und musste mit ansehen, wie die Polizei alte Frauen zu Boden spritzte. Nachts um 3 Uhr fuhr er heim – um ein paar Stunden später zurückzukehren. „Ich habe noch nie so viele Leute weinen sehen, wie in dieser Nacht.“

Horb/Freudenstadt/Stuttgart. SPD-Landtagskandidat Axel Lipp aus Nordstetten traf auf einen klatschnassen Kreisvorsitzenden, als er sich am Donnerstag in Stuttgart ein Lagebild verschaffte. Gerhard Gaiser erzählt, wie es dazu gekommen ist: „Wir standen anfangs abseits, wir wollten einfach Präsenz zeigen. Doch da kam auf einmal berittene Polizei und hat uns bis dicht an die Absperrgitter herangetrieben. Dann hat die Polizei mit ihren Wasserwerfern voll draufgehalten. Es kam Panik auf. Die Leute haben geschrieen. Und ich war nachher völlig durchnässt. Auch im Gesicht hat’s mich erwischt.“

Der Sozialdemokrat aus Baiersbronn hatte am Donnerstagmorgen ursprünglich etwas anderes vor. Doch als er auf der Autobahn die Bereitschaftspolizei aus Bayern anrücken sah, fuhr er kurzentschlossen nach Stuttgart – und harrte bis Freitagfrüh um 3 Uhr aus. Im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE am Freitagmorgen litt er immer noch unter Hustenreiz. Er hatte Reizgas abbekommen. Sogar einem Mann aus dem Deeskalations-Team der Demonstranten – direkt vor ihm – habe ein Polizist mit Pfefferspray ins Gesicht gespritzt. „Ich habe Leute mit blutigen Gesichtern gesehen und Menschen, die sich vor Schmerz am Boden gewälzt haben.“

Als Gerhard Gaiser mit anderen Bürgern eine Pause machen wollte und im Straßencafé saß, hat die Polizei offenbar auch dort einen Wasserwerfer eingesetzt. „Da sind die Gläser durch die Luft geflogen.“

Abends kam der SPDler mit Ärzten ins Gespräch. Einer schilderte ihm, „wie die Kinder zugerichtet waren“. Aus eigener Anschauung wusste Gerhard Gaiser, dass die Polizei Pfefferspray gegen Schüler eingesetzt hatte. Er erlebte, wie alte Frauen unter dem Druck der Wasserwerfer zu Boden fielen. Sie hätten nur die Bäume im Schlossgarten schützen wollen. Auch Gerhard Raff hat er getroffen – der Schriftsteller sei schockiert gewesen.

Am Freitag hat sich der Kreisvorsitzende mit der Studentin Kerstin Grözinger über die Ereignisse des Vortags unterhalten. Sie beteiligt sich seit fünf Wochen an den Protesten. „Ein Polizist hat mir seine Finger in die Augen gedrückt“, sagte sie gegenüber der SÜDWEST PRESSE. Ein anderer Beamter sei ihr auf die Hand getreten. Schlagstöcke seien ebenfalls eingesetzt worden. Und Pfefferspray habe sie aus 20 Zentimetern in die Augen bekommen. Die 22-Jährige trug unter anderem Rückenschmerzen, eine Beule am Kopf und vermutlich einen Sehnenriss am Daumen davon. Sie meinte aber: „Im Vergleich zu anderen geht’s mir gut.“

Und wie sah es mit Gewalt von Demonstranten aus? Fünf bis zehn Leute habe sie bemerkt, die Kastanien geworfen hätten, sagt Kerstin Grözinger. „Die haben wir aber sofort rausgezogen.“ Viel mehr Kastanien seien geflogen, als Wasserwerfer der Polizei die Bäume erwischt hätten. Und Gerhard Gaiser hat den ganzen Tag über keine Gewalttäter gesichtet: „Die Leute waren friedlich. Wenn jetzt etwas anders behauptet wird, ist das die Unwahrheit.“ Innenminister Heribert Rech habe seine Behauptung, es seien Pflastersteine geworfen worden, zurücknehmen müssen.

Die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Hilde Mattheis, die aus Horb stammt, ist in Berlin von Gerhard Gaiser über die Ereignisse informiert worden. Sie machte sich am Freitag vor Ort ein Bild. „Ich finde, dass dieser Polizei-Einsatz nicht nur unverhältnismäßig war, sondern für unsere Demokratie eine Katastrophe.“ Die „brachiale Gewalt“ der Polizei dürfe „auf keinen Fall akzeptiert“ werden. Den Landtags-Kollegen empfiehlt die Bundestagsabgeordnete, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Auch im Bundestag müsse über einen Untersuchungsausschuss nachgedacht werden, nachdem das Magazin „Stern“ berichtet habe, dass die Bahn Gutachten zu „Stuttgart 21“ hinterm Berg halte. „Die Empörung ist nicht nur groß, sondern auch nachhaltig.“

Gerhard Gaiser erzählt, dass er im Gespräch mit Polizisten den Eindruck gewonnen habe, „sie wären lieber auf der anderen Seite“. Er kritisiert, dass den Beamten befohlen worden ist, Gewalt gegen friedliche Bürger anzuwenden. „Einige Leute haben Weinkrämpfe bekommen“, manche seien nachts traumatisiert im Park umhergelaufen: „Das war furchtbar.“ Der SPD-Kreisvorsitzende fordert den „sofortigen Rücktritt“ des Innenministers und des Ministerpräsidenten: „Stefan Mappus spaltet die Gesellschaft, wie kein Ministerpräsident vor ihm. Ich habe den Eindruck, er provoziert die Gewalt regelrecht. Das ist unverantwortlich.“
Quelle Neckar Chronik Andreas Ellinger